Sonntag, 18. Dezember 2011

Textkritik - Wer kennt eigentlich Paulus´Handschrift?! - Zur Verlässlichkeit des Neuen Testamentes Teil 2

Was ist eigentlich die textliche Grundlage des Neuen Testamentes? Woher können wir eigentlich wissen, dass wir die richtigen Texte lesen und deren Inhalt nicht im Laufe der Jahrhunderte verfälscht wurde?! Die Handschriften der Evangelisten oder des Paulus kennen wir nicht, denn die ersten Niederschriften, welche direkt aus den Federn der Autoren kamen, sind uns heute leider nicht mehr zugänglich. Wie können wir uns also sicher sein den richtigen Text zu haben?

1. Was wir haben: 
Wie oben schon erwähnt, ist leider keine einzige der "Urschriften" erhalten geblieben. Dennoch können wir auf eine enorm große Zahl von Abschriften zurückgreifen, welche es uns ermöglichen die "Urschriften" ("Autographen") zu rekonstruieren. Es sind etwa 5300 griechische Abschriften erhalten (Das neue Testament wurde ursprünglich auf Griechisch verfasst), sowie etwa 10.000 lateinische und 10.000 anderssprachliche Manuskripte, wobei Letztere generell jünger und weniger zuverlässig sind.
Innerhalb der 5.300 griechischen Abschriften gibt es einige Unstimmigkeiten, da die Manuskripte in der Regel nicht exakt identisch sind. Dies ist allerdings nicht verwunderlich, sondern eher normal. Beim Diktieren oder Abschreiben der Texte sind im Laufe des Prozesses und der Jahrhunderte Fehler vorgekommen, welche sich natürlich verbreiteten.

Die Aufgabe der Textkritik ist es nun aufgrund dieses textlichen Befundes, welcher uns vorliegt, den Urtext zu rekonstruieren. Textkritik ist im übrigen keine Bibelkritik. Ganz im Gegenteil - Es geht viel mehr darum den ursprünglichen Bibeltext zu ermitteln, um dann mit diesem arbeiten zu können.

Natürlich sind nicht alle Manuskripte gleich. Textkritiker unterscheiden zwischen:
A) Papyri:
Abschriften des Neuen Testamentes auf Papyrus - Diese sind in der Regel die Ältesten und in der Textkritik gewichtigsten Manuskripte. Uns liegen heute noch 117 Papyri vor, welche zusammen fast das gesamte NT außer den zweiten Timotheusbriefen bezeugen.
B) Majuskeln 
Majuskeln sind Abschriften bzw. Handschriften des gesamten Neuen Testamentes. In diese Kategorie fallen z.B. die berühmten "Kodizes". Der bekannteste dieser Kodizes ist wahrscheinlich der von Tischendorff im Sinai entdeckte Codex Sinaiticus. Die großen Kodizes tragen bei textkritischen Entscheidungen häufig auch ein großes Gewicht.
C. Minuskeln 
Die Minuskeln sind griechische Handschriften, die meistens jünger sind und somit in der Regel in ihrer Bedeutung nicht so schwer gewichtet werden. Einige von ihnen sind jedoch von größter Bedeutung, auch wenn sie teilweise erst aus dem 11.Jh. stammen. Die Minuskeln stellen außerdem die größte Gruppe von Handschriften dar, welche uns vom greichischen Text vorliegen.

2. Auswertung 
Die oben genannte Fülle von Abschriften ist zugleich ein Segen, als auch eine große Menge Arbeit, für die Wissenschaftler, welche sich mit der Rekonstruktion des "Urtextes" des Neuen Testamentes befassen.
Wie zuvor schon erwähnt haben wir mehr als 5300 griechische Abschriften, wovon die Ältesten gut in die Zeit um 120 n.Chr. zu datieren sind. Nehmen wir an, dass das NT in einem Zeitraum von etwa 50-90 n.Chr. verfasst wurde (Die Meinungen hierüber gehen stark auseinander), so besteht eine Differenz von gerade einmal 20 Jahren zwischen der Niederschrift der jüngsten Original-Handschrift des NT und der Niederschrift einer uns vorliegenden Abschrift.
Verglichen mit der Bezeuigung anderer antiker Autoren ist das NT hier extrem gut bezeugt und reich an Abschriften. Andere antike Autoren können oft nur 20 Abschriften aufweisen, welche lange nach dem Original entstanden sind. Die Menge der NT Abschriften und ihre zeitliche Nähe zu den Autographen ermöglichen uns eine fast sichere Rekonstruktion des griechischen Urtextes (Über einige wenige Stellen, vielleicht 1-2% des NT Textes, ist man sich nicht sicher. Keine der textkritisch schwierigen Stellen greift allerdings einen einzigen orthodoxen-christlichen Lehrsatz an).

Was nun tun mit der Menge an Abschriften?
Die NT-Textforschung hat Methoden entwickelt die einzelnen Abschriften miteinander zu vergleichen und somit zu entscheiden welche Lesart die ursprünglichere ist.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass viele Abschriften in drei große Gruppen einordbar sind, da sie sich sehr ähnlich sind und aufgrund ihrer Entstehungsorte einen "Texttyp" bilden. Man unterscheidet hierbei zwischen dem:
a) Alexandrinischen Text, welcher die ältesten und oft auch besten Manuskripte enthält. Man misst dem alexandrinischen Text großes Vertrauen bei, da dieser wahrscheinlich durch eine lange Tradition sorgfältiger Bewahrung entstanden ist.
b) Byzantinischen Text, welcher eventuell auf eine Revision des griechischen NT zurückgeht, die im 4.Jh. in Antiochien stattfand. Der Byzantinische Text wird meist als sekundär gewertet.
c) Westlichen Text, welcher zwar ähnlich alt wie der alexandrinische Text ist, aber wesentlich länger. Hier wurden wahrscheinlich einige Zusätze zum Urtext gemacht.

Die Unterscheidung in diese "Texttypen" ist allerdings keine statische - Sie soll lediglich eine Hilfe darstellen, die einzelnen Manuskripte richtig zu bewerten.

Wie wird nun vorgegangen, um herauszufinden was genau der Urtext ist? Beim Vergleichen der Texte arbeitet man zunächst mit der "äußeren Bezeugung": Man fragt sich welche Manuskripte welche Leasart stützen und wie vertrauenswürdig diese sind. Ein älterer und besserer Text erhält hierbei in der Regel den Vorzug.
Da jedoch nicht allein die "äußere Bezeugung" entscheiden kann, welcher Text der ursprünglichere ist (es kann ja vorkommen, dass ein jüngerer Text ursprünglicher liest), achtet man natürlich auch auf die innere wahrscheinlichkeit. Hierbei haben sich einige Faustregeln entwickelt: Der kürzere Text ist vorzuziehen (Texte werden eher länger als kürzer), der schwierigere Text ist vorzuziehen (Texte werden eher geglättet als komplizierter gemacht), aus dem ursprünglichen Text müssen sich die Entstehung der anderen Texte ableiten lassen (wie z.B. durch Abschreibefehler oder bewusste vereinfachunf der Syntax).

Hat man diesen Prozess von Methodenschritten durchlaufen, sollte man in der Regel den ursprünglichen Text feststellen können. Wir können mit gutem Gewissen behaupten, dass wir 99% des NT Urtextes gesichert haben. Die fehlenden 1 oder 2% haben keinen Einfluss auf eine einzige christliche Lehre.

3. Abschluss
Der von Muslimen oft vorgebracht Vorwurf "Die Bibel wurde verfälscht" ist aufgrund der Textkritischen Arbeit unhaltbar. Wir können die Texte des Neuen Testamentes gesichert rekonstruieren, was nicht zuletzt an einer Fülle von Abschriften liegt, die die Zahl der Koran-Abschriften weit übersteigt. Der Textbestand des NT wurde von Anfang an durch die Jahrhunderte hinweg dokumentiert und hat sich nie wesentlich verändert. Es ist wohl nicht überhoben zu behaupten, dass dem Text des Neuen Testamentes, wie er in unseren modernen Bibelübersetzungen abgedruckt ist, vollstes Vertrauen entgegenbringbar ist. Es ist Gottes Wort und durch seine Gnade haben wir vollen Zugang dazu.