Montag, 7. Oktober 2013

Kenosis? Hat Christus sich seiner göttlichen Eigenschaften entleert als er Mensch wurde?

Eine oftmals vorgebrachtes Missverständnis bezüglich der Person Christi ist, dass Jesus nicht gänzlich Gott sein kann, wenn in ihm das göttliche Wesen eingeschränkt ist oder Jesus sich seiner göttlichen Attribute entleert hat. Erickson schreibt zu der Frage folgendes:

The Incarnation was more an addition of human attributes than a loss of divine attributes. Pilippians 2:6-7 is often concieved of as meaning that Jesus emptied himself of some of his divine attributes, perhaps even his deity himself. According to this interpretation, he became human by becoming less than God. 

Da es aber nicht sein kann, dass Jesus "weniger" als Gott wird, löst Erickson die Spannung folgendermaßen auf:

The union of the two naturs mean that they did not function independently...His actions were always those of divinity-humanity. This is the key to understanding the functional limitations the humanity imposed upon the divinity. For example, he still had the power to be everywhere. However as an incarnate being, he was limited in the exercise of that power by posession of a human body. Similarly he still was omniscient, but he possessed and exercised knowledge in connection with a human organism that grew gradually in terms of conciousness, wether of the physical environment or eternal truths. 

Er benutzt eine Illustration, um seinen Punkt zu verdeutlichen:

...think of the world´s greatest boxer fighting with one hand tied behind his back. 

aus: Erickson, Millard J., Christian Theolog. 2nd Ed. Grand Rapids [Baker] 1998, S.751f.

3 Kommentare:

  1. Das niederländische Glaubensbekenntnis ist zu dieser Frage auch sehr gut (Artikel 18 und 19). Da heißt es u.a. in Art. 19: "... Übrigens sind diese beiden Naturen so zusammen vereinigt und verbunden zu einer Person, dass sie nicht einmal durch seinen Tod haben getrennt werden können. Was er daher seinem Vater im Sterben anempfahl, das war wirklich der menschliche Geist, der seinen Leib verließ, aber unterdessen blieb die göttliche Natur immer mit der menschlichen auch im Grab verbunden, so dass die Gottheit selbst damals nicht weniger in ihm war, als wie er noch ein Kind war, obgleich sie sich für kurze Zeit nicht zeigte. ..." Das ist ein großes Wunder, dass auch über Christus als Baby und als Toter gesagt werden kann: alles ist durch ihn ... und alles besteht in ihm (Kol 1,16f).
    Simon

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  2. Das ist übrigens eine Frage, die ich mir schon oft gestellt habe: Starb die Göttlichkeit Jesu auf Golgatha? Kann Gott sterben? Ich glaube oftmals zerbricht unsere Trinittätstheologie und Christologie am Kreuz und spätestens dort wird es dann unfassbar. Würdest du es so sehen? Dass Gott auch im Tod war? Ich glaube selbst die Kirchenväter haben sich da eher zurückgehalten.

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  3. Hi,
    Gott kann nicht sterben. Gerade weil auf der anderen Seite eben die Vermischung der Naturen abgelehnt wird, ist klar, dass Gott nicht gestorben ist am Kreuz. Weil sie aber auch nicht getretnnt werden, ist die göttliche Natur auch im Säuglingsalter und im Grab mit Christus verbunden. Du hast natürlich völlig recht, dass spätestens am Kreuz die Zwei-Naturen-Lehre unfassbar wird. Aber ich denke, dass die Formulierung des Niederl.Glaubensbek. gut ist. Das ist ja auch nur ein Ausschnitt gewesen. Die alte Kirche war in dieser Frage genial, denn über vier Negative Begriffe hat sie sich so weit wie es geht der Sache angenähert, aber nicht spekuliert. Das kann man schon als Zurückhaltung sehen. Die vier bekanntnen Begriffe des Chalcedon zum Verhältnis der Naturen sind Gold wert: unvermischt, unverändert, ungeteilt und ungetrennt.

    Wer dazu auch sehr gut ist, ist Calvin. Er schreibt, dass sich dort, wo von Christus als Mittler die Rede, also dort, wo es die Heilsdinge zwischen Gott und Mensch geht, spekulieren über einer einzelne Natur falsch ist. Hier mal einen Absatz rein, den ich richtig gut finde, in II,14,3:

    "Aber am klarsten wird das Wesen Christi an den Stellen beschrieben, die von beiden Naturen zugleich sprechen. Solche finden sich in großer Zahl, besonders im Johannesevangelium. Man kann es z.B. weder ausschließlich der Gottheit, noch in besonderer Weise der Menschheit, sondern muß es beiden zugleich zuschreiben, wenn es dort heißt, Christus habe vom Vater die Vollmacht zur Sündenvergebung empfangen (Joh. 1,29; Matth. 9,6), oder die Vollmacht, aufzuerwecken, wen er will (Joh. 5,21), oder auch, Gerechtigkeit, Heiligkeit und Seligkeit auszuteilen, oder auch: er sei zum Richter gesetzt über Lebendige und Tote, er solle geehrt werden wie der Vater (Joh. 5,21ff.). In gleicher Richtung geht es, wenn er „das Licht der Welt“ (Joh. 8,12; 9,5), der „gute Hirte“, die „einzige Tür“ (Joh. 10,9.12) oder auch der „rechte Weinstock“ (Joh. 15,1) heißt. Denn das waren die besonderen Vorrechte, mit denen Gottes Sohn, als er im Fleische geoffenbart wurde, ausgerüstet war; er hatte sie schon vor Anbeginn der Welt mit dem Vater zusammen ausgeübt, wenn auch auf andere Weise und in anderer Hinsicht, und diese Vorrechte hätten einem Menschen, der nichts gewesen wäre als ein Mensch, nie zuteil werden können!
    ...
    Hier haben einige von den Alten einen unentschuldbaren Irrtum begangen: sie haben Christi Stellung als Mittler nicht richtig beachtet und darum den ursprünglichen Sinn fast der ganzen Lehre von Christus, wie sie uns im
    Johannesevangelium entgegentritt, verdunkelt, sich selber aber in mancherlei Fallstricke verwickelt. Wir wollen es also als Schlüssel zum rechten Verständnis dieser Dinge festhalten: Aussagen, die das Amt des Mittlers betreffen, dürfen nie auf die göttliche oder auch auf die menschliche Natur für sich allein bezogen werden."

    Das war ein ganz schön langer Beitrag. Aber ich hoffe, dass sie sich das Lesen gelohnt hat. Es ist wirklich ein sehr guter Hinweis von Calvin.

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